Montag, 10. Mai 2010

Kurzgeschichte: Gerettet.


Der Wettkampf war vorbei, Linn hatte gewonnen. Mal wieder. Schweißbedeckt ging sie von der Bahn und wurde sogleich von einem ganzen Hofstaat in Empfang genommen. Ihre Eltern strahlten, ein paar Fotos wurden geschossen, Stimmen schwirrten um ihren pochenden Kopf. "Weg da.", sagte sie barsch und befreite sich aus dem Menschenknäuel um sich herum. Ihre dauerlächelnde Mutter trippelte hinter dem Mädchen her.
"Schatzi, das hast du wieder ganz toll gemacht, ehrlich! Und der nächste Wettkampf findet schon in vier Wochen statt! Deine Karriere geht ganz ganz steil nach oben!"
Linn hörte gar nicht zu. Sie war fertig, also ging sie. Ihre Arbeit war getan, alle sind zufrieden. Nun würde sie tun was sie wollte. Sie, als jugendliches Mädchen, dass eigentlich Interesse an Shopping, Make-Up und anderem Mädchenkram zeigen sollte. In windeseile packte sie ihre Tasche zusammen und ordnete an, dass sie gehen wolle.
Keine Wiedersprüche.
Daheim angekommen machte sie sich gar nicht erst die Mühe ihre Sachen aufzuräumen oder zu duschen, geschweige denn zu verkünden, dass sie nun weggehe.
Linn schwang sich auf ihr Rad und trat in die Pedale als gäbe es kein Morgen, als wartete am Ende des Regenbogens ein Goldtopf auf sie. In gewisser Weise stimmte es. Jemand wartete. Sie stieg ab und klingelte an der Haustür eines gutbürgerlichen Familienhauses. Ein Hund bellte. Wie immer. Er öffnete die Tür. Wie immer.
Er küsste sie. Wie immer.
Sie wurde in eine völlig andere Welt gesogen. Eine Welt der Liebe, der Akzeptanz, des Vertrauens.
Eine Welt, in der sie sich nicht behaupten musste. Sie war sie selbst. Sie stand da, der Schweiß klebte an ihr, ohne Schminke, ohne schöne Klamotten - aber er war da und küsste und liebte sie und das war alles, was sie interessierte.
In seinem Zimmer, als er gerade an seiner Gitarre zupfte und sie einfach neben ihm herumlag, sagte sie sehr leise, viel mehr zu sich selbst als zu ihm: "Immer wenn ich auf einer einsamen Insel gestrandet bin und keine Hoffnung mehr besteht, kommst du mit deinem Flugzeug vorbeigeflogen und machst die Welt wieder gut."
Er hörte es und musste lächeln.
"Du weißt doch dass ich für dich da bin."
Ja, sie wusste es. Und das Mädchen würde immer wieder auf die einsame Insel zurückkehren, nur um von ihm gerettet zu werden.

Dienstag, 4. Mai 2010

Kurzgeschichte: Das Leben ist schön.


"Hey."
"Hallo."
Er richtete seinen Blick starr auf den Boden. Als würden seine grauen Augen den Asphalt zum Bersten bringen wollen. Nichts geschah. "Was machst du hier? Deine Mutter macht sich Sorgen!", wütete der Mann neben ihm mit verzweifeltem Unterton.
"Was soll's? Das sagst du immer. Sie ist meine Ma, natürlich macht sie sich Sorgen. Aber wie sieht's mit dir aus?", erwiderte der Junge mit zittriger Stimme. Er rieb sich kurz die Stirn, nestelte an seinem Schnürsenkel, kaute auf der Unterlippe. Die Situation war ihm sichtlich unangenehm. Nervosität drang wie ein Gift durch seinen Körper. Lange hatter er auf diesen Moment gewartet. Doch nun wusste er nichts mehr damit anzufangen.
"Junge, komm jetzt. Rede nicht so Zeug daher! Was ist los mit dir?"
Sein Haar fiel ihm wieder ins Gesicht, verdeckte ihm die Sicht. Es war egal. Wozu sehen, wenn es nichts Schönes zu sehen gab? Der Vater bemerkte, dass er so nichts erreichte. Er setzte sich neben seinen Jungen auf die Bordsteinkante, wusste jedoch nicht, wie er anfangen sollte.
Plötzlich fühlte er sich selbst wie ein kleines Kind und er wurde traurig. Er startete einen neuen Versuch. "Bitte. Sag mir bitte was mit dir ist!" Verständnis wollte er zeigen. Interesse. "Du willst es wissen? Das ist neu für mich. Nie wolltest du irgendwas von mir wissen seit Anne da ist. Ich lebe mit euch in einem Haus aber ich lebe nicht MIT euch zusammen. Sie bekommt alles und ich bekomme den Rest. Huch, welcher Rest? Stimmt ja, es bleibt nichts! Kannst du mir folgen?"
Die eisgrauen Augen hafteten am Vater. Dieser nickte nur stumm. So weit so gut.
"Hast du bemerkt was für einen Loser du als Sohn hast? Ist es dir je aufgefallen?", fuhr er fort. Der Himmel verdunkelte sich. Das Gesamtbild könnte nicht stimmiger sein.
"N-nein, also... was meinst du? Dass du hier und da Probleme in der Schule hast weiß ich doch, aber... ", murmelte der Vater betreten. "Verdammt, nein!" Die Stimme des Sohnes wurde kräftiger und laut. "Abgesehen von der Schule, meine ich! Ich habe kaum noch Freunde, keine Freundin, verschanze mich in meinem Zimmer und du weißt nichts davon. Ma sieht alldem nur mit einem müden, wehleidigen Lächeln zu. Denk nach, woran es liegt, denk bitte gut nach."
Er wurde wieder ruhig.
Er rappelte sich auf, wischte sich den staubigen Hosenboden ab und sah hinauf in den wolkenbedeckten Himmel. "Ha, niemand kann mir mehr einreden, dass das Leben schön ist. Niemand, verstanden." Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ging einfach davon.
Der Vater blieb zurück. Keines Blickes wurde er mehr gewürdigt. Er wusste wieso.
Er wusste, was er angerichtet hatte.
Sein Herz wurde ihm schwer.