Sonntag, 21. November 2010

Fühltsichnichtsogutan.


Mein Hirn schwingt den Vorschlaghammer
Weil ich mich an sinnlose Taten klammer
Mein Herz zückt Pfeil und Bogen
Mit Hass wurde es betrogen
Mein Gesicht ist warm
Das Blut pocht in mir
Die einzige Frage, die mich jetzt noch kümmert:
"Was zum Teufel soll ich hier?"
Die Antwort liegt verborgen
Versteckt
Hinter all den Sorgen

YES we can ... mosh!


Wo soll man nur anfangen, wenn man sich tatsächlich über ein solch hochexplosives Ereignis wie die Never Say Die Tour 2010 auslassen will – und zwar so, dass der Leser genau das fühlt, was man selbst gefühlt hat? Wahrscheinlich überhaupt nicht, doch einen Versuch ist es wert!

Wind von der ganzen Sache habe ich durch einen Bekannten bekommen. Sofort war ich hin und weg und versuchte auch andere mit der grandiosen Idee anzustecken, sich eine Karte zu kaufen und mich zu begleiten, denn nur in einer guten Gesellschaft möchte ich gute Musik hören. Tatsächlich waren Freunde von mir in einer ähnlichen freudigen Erwartung auf das anstehende Spektakel: Circa fünf Stunden gepflegter Hard-,Metal-,Post- und Deathcore. Musikrichtungen, die man nicht nur mögen, sondern auch leben kann.
Meine Freundin Ca und ich hüpften also in den nächstbesten Zug und machten uns auf nach Würzburg, wo das Event in der Posthalle stattfinden sollte. Am etwas ernüchternden Würzburger Bahnhof angekommen hatten wir ein simples aber doch sehr wichtiges Ziel vor uns: Bier kaufen. Irgendwie gehört dieses Genussmittel einfach zu Musik, was für mich persönlich schon ein triftiger Grund ist nicht den „Straight Edgen“ Lebensstil zu verfolgen, den einige Hardcorer eingeschlagen hatten.
Vor dem Haupteingang des Bahnhofsgebäudes stand schon eine sehr verdächtig aussehende Gruppe Jugendlicher, die sich in einem Kreis aufgestellt hatten. Oft erkennt man coremusikhörende Menschen schon an Piercings, Flesh Tunnels, Tattoos und Klamotten. Was befand sich wohl im Inneren des Menschenkreises? Klar. Auch Bier. Deutliche Indizien dafür, dass sie noch etwas vorhatten. Was, stellte sich auch ziemlich bald heraus. Kurzerhand marschierten Ca und ich auf sie zu und stellten sie zur Rede, ob sie denn die „Hey-wir-treffen-uns-vor-dem-Konzert“-Gruppe seien und wie sich herausstellte, waren sie es in der Tat. Wie das Leben so spielt mussten wir auf all das Bier ständig pieseln gehen. Dazu stiefelten wir wieder durch die Bahnhofshalle zum Klo, wo wir bei jedem Wasserlassen 50 Cent zahlen mussten. Gegen Ende hatte ich also 2 Euro nur für den Notdurft geblecht… die Klofrau hat’s gefreut! Als Ca und ich von einem Klostreifzug zurückkamen, schloss sich uns noch ein junger Mann an. Unsere kleine Gruppe der Musikvernarrten wuchs beständig. Ein Weilchen später kamen noch mehr Bekannte hinzu und zu gegebener Stunde machten wir uns zum Eingang der Posthalle auf. Dort hatte sich schon ein nettes Knäuel von Hardcoreliebhabern versammelt und auf das Zeichen zum Einlass gewartet. Hundsgemein drängelten wir ein bisschen und fanden uns kurz darauf direkt hinter der Absperrung wieder, an der sich meine Freunde mit dürftigem Englisch im Wortgefecht mit einigen Amerikanern befanden, welche in der örtlichen Kaserne stationiert waren. Äußerst amüsant kann ich nur sagen, denn sie verstanden höchstens die Hälfte davon, was man ihnen eigentlich erzählen wollte. Gegen 18 Uhr wurden uns die Pforten geöffnet. Meine Meute und ich wuselten die Treppe nach oben und versuchten dabei, nicht niedergetrampelt zu werden. Es gelang uns. An jenem Abend spielten genau sieben äußerst unterhaltsame Bands: Your Demise (Hardcore), Comeback Kid (Hardcore-Punkband), War From A Harlots Mouth (Deathcore, denen mein getragenes Bandshirt signalisierte, dass ich mich sehr auf sie freute), Emmure (Metalcore), Bleeding Through (Metalcore), We Came As Romans (Posthardcore) und der heiß erwartete Headliner: Parkway Drive (Metalcore).
Natürlich blieb mir nichts erspart und ein Schwall Bier landete gleich bei der ersten Band in Gesicht, Haaren und Ausschnitt aber jeder liebt doch eine erfrischende Bierdusche, nicht? Wenn man Angst vor solchen Kleinigkeiten hat, sollte man sich nicht an den Rand des Moshpits stellen, kann ich da nur raten. Die Typen powerten sich im Laufe des Abends gehörig aus und hatten nach Comeback Kid, als die innig geliebten Jungs von Parkway Drive am Zuge waren nochmal allen Ansporn dazu, ihre letzten Kräfte zu mobilisieren. Die Mädchen taten es ihnen gleich – wie auch ich – als ich mich in die zweite Reihe zerren ließ. Umzingelt von moshenden Menschen bleibt einem eigentlich gar nichts anderes übrig als mitzumachen. Man wird angesteckt von den Energien, die von diesen vor Schweiß triefenden Menschen ausgeht und der hitzigen Brutalität, die sich in ihren Augen widerspiegelt. Man mutiert sozusagen, wie ein Super Sayajin in Dragon Ball Z und verspürt tiefe Lust, einfach mitzumachen. Das Denken funktioniert nur noch durch Beine und Arme, vorzugsweise Ellenbogen, die als mehr oder weniger sicheres Schutzschild dienten. Eine Welle der Kraft fährt bei jedem Breakdown durch Oberkörper und Gliedmaßen. Könnte man das alles visuell darstellen, wären es wohl glühendgelbe Funken, die vom Inneren des Körpers nach außen treten. Ob ich übertreibe, kann jeder für sich selbst entscheiden. Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die all das lieber von der Ferne genießen und es sich einfach nur ansehen als mittendrin zu sein, aber wenn ich auf einer Musikveranstaltung bin, will ich die Musik fühlen. Wenn sie mich dann erreicht hat bin ich sowieso nicht mehr zu halten. Ich vergaß jedes Zeitgefühl. Ab und an passiert es zwar leider, dass man eines seiner Gruppenmitglieder aufspüren muss, doch am Ende ist man einfach gemeinsam „fertig mit der Welt“. Für die Besucher solcher Konzerte ist das Moshen ein Standardtanz, die realitätsaufgreifenden Texte der Bands die reinste Poesie und das Betrachten der gesammelten Kratzer, Blutergüsse und Prellungen ein Grund zum Grinsen. Um es genau zu machen: Es kann ein Way of Life werden. Oder zumindest ein sehr wichtiges Hobby. Mit meinem käuflich erworbenen Never Say Die Tour T-Shirt stolzierten ich und die Anderen nach draußen und waren einfach nur froh, das Erlebte erlebt zu haben. Oder um es kurz zu machen:

Je ne regrette rien.


(c) Natascha Kontarakes